Eine Rückenmarksverletzung kann gravierende Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit und der sensorischen Wahrnehmung nach sich ziehen. Auch wenn eine vollständige Wiederherstellung der Mobilität oft nicht möglich ist, haben Studien gezeigt, dass eine elektrische Rückenmarksstimulation während der Rehabilitation deutliche Bewegungsverbesserungen erzielen kann, sogar bei Personen mit kompletter Lähmung. In einer Studie, die 2022 in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde, haben Claudia Kathe und Ko-Autoren aus Lausanne die neuronalen Grundlagen solcher Verbesserungen erforscht. Sie stellten eine detaillierte molekulare Karte des verletzten Rückenmarks bei Mäusen dar und identifizieren Zelltypen, die bei der Rehabilitation eine zentrale Rolle spielen.
Ursprünglich wurde die epidurale Elektrostimulation (EES) vor über 50 Jahren zur Schmerzlinderung entwickelt. Sie nutzt flexible Elektroden, die über der äußeren Rückenmarkshülle (Dura mater) angebracht werden, um nahegelegene Nervenbahnen zu aktivieren. Diese Methode wird auch genutzt, um verbliebene Nervenzellen nach einer Verletzung zu stimulieren und so die motorische Funktion zu verbessern. Trotz anfänglicher Herausforderungen bei der Erzeugung der Stimulationsmuster und dem Elektrodendesign wurden in den letzten zehn Jahren hierbei signifikante Fortschritte gemacht. Neuere Elektrodendesigns können nun gezielter dorsale Wurzelregionen des Rückenmarks stimulieren, die für die sensorische Informationsübermittlung entscheidend sind. In einer klinischen Studie erhielten neun schwer gelähmte Personen die EES, und alle zeigten während der Stimulation eine sofortige Wiederherstellung der Gehfähigkeit mit roboterunterstütztem Training sowie eine nachhaltige Verbesserung nach fünf Monaten.
Um zu erforschen, wie verschiedene Zelltypen an der EES-vermittelten Erholung beteiligt sein könnten, entwickelten die Autoren ein Mausmodell, das viele Schlüsselmerkmale der EES-Neurorehabilitation beim Menschen rekapituliert. Anschließend sequenzierten sie die RNA aus einzelnen Zellen und Rückenmarksschnitten, um hochauflösende Karten der Genexpression über mehrere Stadien der Rehabilitation hinweg zu erstellen. Diese Strategie ermöglichte es ihnen, detaillierte Veränderungen der Genexpression zu erfassen, die während der EES-vermittelten Erholung auftreten. Die Gruppe hatte zuvor einen maschinellen Lernansatz zur Analyse von Genexpressionsdaten entwickelt, der die Identifizierung der Zelltypen ermöglichte, die auf einen biologischen Reiz reagieren. Sie konnten zeigen, dass die Aktivierung bestimmter Neuronentypen durch EES, wie der sog. SCVsx2::Hoxa10-Neuronen im lumbalen Rückenmark, zu einer Neuorganisation der spinalen Schaltkreise führen kann, die die motorische Funktion unterstützt.
Zusammengenommen unterstreichen die Ergebnisse die Rolle bestimmter spinaler Neurone bei der Wiederherstellung der Bewegungsfähigkeit nach Verletzungen, insbesondere in Kombination mit adäquater Stimulation und Rehabilitation. Die Erkenntnisse von Kathe et al. bieten einen tiefen Einblick in die zellulären und molekularen Vorgänge, die der EES-vermittelten Rehabilitation zugrunde liegen, und eröffnen neue Möglichkeiten für zielgerichtete Therapien bei Rückenmarksverletzungen.
Referenz:
Kathe C, Skinnider MA, Hutson TH, …, Bloch J, Squair JW, Courtine G (2022) The neurons that restore walking after paralysis. Nature 611:540
Bildnachweis: Fig. 1a aus Kathe et al. (2022) Nature 611:540
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