Die Mikrogliazellen im Gehirn spielen eine wichtige, aber paradoxe Rolle bei neurodegenerativen Erkrankungen. Nach starker Aktivierung vermehren sie sich und nehmen eine amöboide Form an (im Gegensatz zu ihrer üblicherweise verzweigten Struktur). Innerhalb der Zellen entstehen dann spezifische Protein-Komplexe, sog. Inflammasome, die Teil der angeborenen Immunantwort sind und schnell auf fremde Proteine und entzündliche Signale ansprechen.
Dieser Vorgang erfordert ein Adapterprotein zur Anbindung von Caspase, die daraufhin Entzündungsmoleküle wie IL-1β und TNFα aus ihren Vorstufen herstellt. Die Freisetzung dieser Zytokine aktiviert dann über spezielle Rezeptoren in Nervenzellen definierte Signalwege, darunter den p38-MAP-Kinase-Weg, der eine Phosphorylierung von Tau-Proteinen und damit neuronale Schädigungen verursacht. In Mausmodellen der Alzheimer-Krankheit erleichtert aktivierte Mikroglia zwar die Beseitigung von β-Amyloid (Aβ)-Ansammlungen im Gehirn, ist aber leider auch am unerwünschten Abbau von Synapsen beteiligt, was die Neurodegeneration und kognitive Defizite beschleunigt.
Zezhong Lv und Kollegen aus der Arbeitsgruppe von Yang Zhan in Shenzhen (China) entdeckten nun das Komplement-Protein C1q, das für die gezielte Entfernung von Synapsen, aber offenbar nicht für die Reduktion der Amyloid-Plaques verantwortlich ist. Damit können sie erstmals einen therapeutischen Ansatz aufzeigen, der die positiven Aspekte der Mikroglia-Aktivierung nutzt, aber gleichzeitig ihre schädlichen Auswirkungen auf die Neurone verhindert.
Für ihre Experimente verwendeten die Autoren der in Neuron kürzlich erschienenen Arbeit eine moderne, optogenetische Technik zur Aktivierung von Mikroglia mit blauem Licht. Solche Verfahren dienen als Präzisionsinstrumente zur Aktivierung von Zellen, ohne sie zu schädigen. Dabei führt die Anregung von sog. Channelrhodopsinen zu einer Depolarisierung der Plasmamembranen, indem Ionen in die Zelle eintreten. Obwohl die Mikrogliazellen eigentlich nicht erregbar sind, kann ihre Aktivität durch elektrische Stimulation und optogenetische Verfahren beeinflusst werden, denn sie halten normalerweise ein hyperpolarisiertes Membranpotenzial aufrecht, das durch THIK1-Kanäle vermittelt wird. Eine Hemmung dieser Kanäle depolarisiert Mikrogliazellen, aktiviert sie und steigert ihre phagozytotische Aktivität.
Bei Mäusen, denen β-Amyloid infundiert wurde, aber auch in genetisch veränderten Alzheimer-Mäusen führte die optogenetische Stimulation von Mikroglia im Hippocampus nun zum Abbau von Aβ und zur Reduktion von Synapsen und dendritischen Fortsätzen (sog. Dornen). Dabei zeigte die genaue Untersuchung des Hirngewebes erhöhte Marker für Phagolysosomen, einen Anstieg des Komplementfaktors C1q, aber auch eine Verminderung von Synapsen im stimulierten Gebiet (Mikroglia ist der wichtigste Produzent von C1q im zentralen Nervensystem).
Interessanterweise verhinderte die Blockade von C1q mittels Antikörper den durch Optogenetik induzierten Verlust von Synapsen, ohne die mikrogliale Aktivierung oder die Aβ-Aufnahme zu beeinflussen. Sollte der Anstieg von C1q bei Patienten im Frühstadium der Alzheimer-Krankheit in ähnlicher Weise beobachtet werden wie in Tiermodellen, könnten diese Erkenntnisse den Weg für den Einsatz von Mikroglia ebnen, um toxische Aβ-Ablagerungen zu beseitigen, aber mittels C1q-Blockade Synapsen und damit neuronale Verbindungen zu erhalten.
Referenz:
Lv Z, Chen L, Chen P, Peng H, Rong Y, Hong W, Zhou Q, Li N, Li B, Paolicelli RC, Zhan Y (2024) Clearance of β-amyloid and synapses by the optogenetic depolarization of microglia is complement selective. Neuron 112:740
Bildnachweis: iStock/selvanegra
Sehr geehrter Herr Prof. Klimaschewski, einfach hervorragend wie immer !
Mit kollegialen Grüßen
Steffen Wirth ( Prof. Dr. med.)