Die Alzheimer-Krankheit geht mit einer Ansammlung von Amyloid-Protein im Gehirn einher. Diese klumpenartigen Plaques führen zur Neurodegeneration und Gedächtnisstörungen. Interessanterweise sind aber nicht bei jedem, der im Alter kognitiv beeinträchtigt ist, Amyloid-Plaques im Gehirn nachweisbar und umgekehrt entwickelt nicht jeder mit Plaques eine Alzheimer-Demenz. Warum ist das so ?
In einer kürzlich in der Zeitschrift Cell veröffentlichten Arbeit versuchten der Neurobiologe Hansruedi Mathys von der University of Pittsburgh School of Medicine sowie der Neurowissenschaftler Li-Huei Tsai und der Informatiker Manolis Kellis vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge nun Licht ins Dunkel dieser Frage zu bringen. Sie hatten Zugang zu den Daten einer großen Studie (ROSMAP), in deren Verlauf die kognitiven und motorischen Fähigkeiten von Tausenden von Menschen über viele Jahre hinweg verfolgt wurden.
Von 427 Gehirnen verstorbener Studienteilnehmer entnahmen die Forscher Gewebeproben für eine genaue Analyse der Nervenzellen in der Hirnrinde. Einige der Probanden hatten eine Demenz entwickelt, die typisch für die fortgeschrittene Alzheimer-Krankheit ist, einige hatten nur eine leichte kognitive Beeinträchtigung und der Rest zeigte keine Anzeichen einer Beeinträchtigung. Die Analyse umfasste insgesamt rund 2,3 Millionen Zellkerne aus dem präfrontalen Cortex, der für höhere Gehirnfunktionen zuständig ist. Um die entsprechenden Nervenzellen klassifizieren zu können, sequenzierten die Forscher alle aktiven Gene und erstellten so einen molekularen Atlas des Gehirns. Damit lassen sich also genetische Veränderungen und Signalwege aufdecken, die mit einer Demenz bzw. mit einer Alzheimer-Resilienz in Verbindung stehen.
Im Rahmen dieser Arbeit wurde eine koordinierte Zunahme des sog. Kohäsin-Komplexes, der Schwesterchromatiden zusammenhält, und eine zellulären Reaktion auf DNA-Schäden in Neuronen und in Oligodendrozyten von Alzheimer-Patienten nachgewiesen. Tatsächlich zeigten sich in exzitatorischen (erregenden) Nervenzellen vermehrt Genfusionen, die auf chromosomale Strukturvariationen hinweisen und zur Neurodegeneration führen können.
Die Autoren identifizierten darüber hinaus zwei Zelltypen, die einen Marker tragen, der offenbar bei stärkeren kognitiven Beeinträchtigungen verloren geht. Der eine kodiert für Reelin, ein Protein, das mit der Schizophrenie in Verbindung gebracht wird, und der andere für Somatostatin, ein Neuropeptid, das auch als Hormon im Körper fungiert. Die Anzahl von Zellen mit diesen beiden Markern blieb bei kognitiv gesunden Probanden hoch, selbst wenn in ihren Gehirnen große Mengen an Amyloid-Plaques nachweisbar waren. Dabei handelt es sich um hemmende Nervenzellen, die neuronale Kommunikation unterbrechen. Offenbar sind Reelin- oder Somatostatin-positive Interneurone bei der Alzheimer-Krankheit besonders anfällig und gehen frühzeitig zugrunde. Interessanterweise wurde kürzlich eine Reelin-Mutation bei einem Mann mit hohen Amyloidwerten nachgewiesen, der nicht dement wurde.
Schließlich wurden in der vorliegenden Arbeit mehrere Gene identifiziert, die an der FGF-Signalübertragung beteiligt sind. FGF1 und FGF22 korrelieren positiv mit globalen kognitiven Funktionen und könnten - ähnlich wie das in diesem Blog schon früher besprochene FGF17 - positiv auf das Gedächtnis einwirken.
Referenzen:
Mathys H, Peng Z, Boix CA, …, Tsai L-H (2023) Single-cell atlas reveals correlates of high cognitive function, dementia, and resilience to Alzheimer’s disease pathology. Cell 186:4365-4385
Bildnachweis: iStock/koto_feja
Comments