In den vergangenen Jahren wurden wiederholt Virusinfektionen mit dem späteren Auftreten neurologischer und neurodegenerativer Erkrankungen in Zusammenhang gebracht. Beispielsweise findet sich vermehrt das Epstein-Barr-Virus (EBV) bei Patienten mit multipler Sklerose. Neben den in diesem Blog schon früher besprochenen Auswirkungen einer Covid-Infektion auf das Gehirn scheinen aber auch bakterielle Entzündungen als mögliche Ursache einer Neurodegeneration in Frage zu kommen. Die heute im Rahmen von Biobanken verfügbaren großen Datenmengen ermöglichen einen schnelleren und unvoreingenommeneren Nachweis von derartigen Zusammenhängen.
Eine aktuelle Studie, die im Fachjournal Neuron erschienen ist, fand nun in Längsschnittdaten einer finnischen (FinnGen) und einer englischen (UK) Biobank insgesamt 22 signifikante und übereinstimmende Assoziationen zwischen einer Infektion und dem Risiko, bis zu 15 Jahre später eine neurodegenerative Krankheit zu entwickeln. Dabei war bei über 300.000 finnischen und 500.000 englischen Probanden die Grippe (Influenza mit oder ohne Lungenentzündung) der am häufigsten mit einer Neurodegeneration assoziierte Endpunkt.
Bei fünf von sechs untersuchten Krankheiten (Alzheimer, amyotrophe Lateralsklerose, generalisierte Demenz, vaskuläre Demenz, Parkinson-Krankheit und multiple Sklerose) wurde eine Korrelation mit einer Virusinfektion nachgewiesen. Neben Influenza scheint die virale Enzephalitis, Varizella-Zoster- und eine Darminfektion vermehrt eine degenerative Hirnerkrankung auslösen zu können. Mechanistisch scheint am wahrscheinlichsten, dass über eine starke Anregung des allgemeinen Immunsystems auch die Mikroglia im Gehirn aktiviert wird. Diese Zellen können Neurone schädigen, wenn sie über Wochen und Monate aktiv sind.
Therapeutisch relevant ist, dass für Influenza, Gürtelrose und manche Lungenentzündungen Impfstoffe zur Verfügung stehen. Obwohl sie nicht alle Krankheitsfälle verhindern, ist bekannt, dass Impfungen die Zahl der Krankenhausaufenthalte drastisch reduzieren können. Dies deutet darauf hin, dass eine Impfung auch das Risiko, eine neurodegenerative Krankheit zu entwickeln, vermindert. Tatsächlich wurde kürzlich festgestellt, dass Impfungen gegen Grippe und Lungenentzündungen das Risiko für Alzheimer und Parkinson reduzieren. Neben einer Impfung kann auch der Einsatz von Virostatika das Demenzrisiko, z.B. nach Infektion mit Herpes-simplex- oder Varizella-Zoster-Viren, vermindern. Obwohl die Entwicklung von Therapien, die Viren vollständig aus dem Körper entfernen, eine große Herausforderung darstellt, könnte ein Stop der Virusreplikation demnach eine weitere Reduzierung der Risikofaktoren für neurodegenerative Erkrankungen bewirken.
Referenz:
Levine KS, Leonard HL, Blauwendraat C, Iwaki H, Johnson N, Bandres-Ciga S, Ferrucci L, Faghri F, Singleton AB, Nalls MA (2023) Virus exposure and neurodegenerative disease risk across national biobanks. Neuron 111:1086
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