
Eine genaue Analyse der Genexpression einzelner Zellen im Gehirn hat gezeigt, dass die Alzheimer-Krankheit mit einer metabolischen Umprogrammierung auf verstärkte aerobe Glykolyse einhergeht. Erhöhte Konzentrationen von Stoffwechselenzymen wie Laktatdehydrogenase A und Pyruvatkinase M (PKM) konnten als gut reproduzierbare Biomarker im Liquor von Alzheimer-Patienten nachgewiesen werden. Eine Studie, die im letzten September in Cell Metabolism veröffentlicht wurde, deutet nun darauf hin, dass in betroffenen Nervenzellen eine krebsähnliche Stoffwechsel-Veränderung stattfindet, die mit einer reduzierten morphologischen Komplexität, einer geringeren Anzahl von Synapsen und einem verminderten Kalzium-Einstrom einhergeht.
Diese dem sog. Warburg-Effekt ähnelnde Umstellung auf aerobe Glykolyse geht mit einer Zunahme von PKM2 im neuronalen Zellkern einher. Pyruvat-Kinase M ist ein wichtiges glykolytisches Enzym, das mit der Alzheimer-Pathologie korreliert und in mehreren Isoformen vorkommt. Der Wechsel von PKM1 zu PKM2 ist charakteristisch für den Effekt, der nach dem Physiologen Otto Heinrich Warburg benannt wurde und sich insbesondere in Krebszellen zeigt, die ihre Energie hauptsächlich durch Glykolyse mit anschließender Ausscheidung von Laktat (Milchsäure) gewinnen. Sie führen das Endprodukt der Glykolyse also nicht wie normale Zellen dem Citratzyklus in den Mitochondrien zu. Heute wissen wir, dass nicht nur Krebszellen, sondern auch Nervenzellen im Rahmen neurodegenerativer Erkrankungen trotz ausreichender Sauerstoffversorgung diese sehr ineffiziente Form der Energiegewinnung zeigen, die mit einem erhöhten Glukose-Verbrauch einhergeht.
In der aktuellen Untersuchung wurden neuronal-induzierte Zellen verwendet, die aus Fibroblasten von Alzheimer-Patienten und Kontrollpersonen gewonnen wurden. Diese Zellen entstehen durch die proneuronalen Faktoren Ascl1 und Neurogenin-2 und behalten die Alterungssignatur ihrer Spender bei. Sie stellen ein geeignetes Modellsystem dar, um altersbedingte Krankheitsphänotypen in lebenden menschlichen Nervenzellen zu untersuchen.
Induzierte Neurone von Alzheimer-Patienten verlieren dabei ihre reifen neuronalen Marker und wandeln sich in einen unreiferen Zustand um, was eine Ähnlichkeit zur malignen Transformation von Krebszellen darstellt. Dabei interagiert PKM2 spezifisch im Zellkern mit den Transkriptionsfaktoren STAT3 und HIF1α und verstärkt deren stressbezogene Wirkungen.
Die Resultate der Studie deuten darauf hin, dass die Umstellung auf aerobe Glykolyse unabhängig vom ApoE-Genotyp ist und mit funktionsfähigen Mitochondrien einhergeht (ähnlich wie beim Warburg-Effekt in Krebszellen). Stoffwechsel-Regulatoren sind daher in den Fokus der Entwicklung von "Anti-Warburg"-Medikamenten gerückt. Da die Hemmung von PKM2 mittels Shikonin die Glykolyse verlangsamt, wird die Wirkung toxischer glykolytischer Stoffwechselprodukte und die Neigung der Zellen, in die Apoptose einzutreten, vermindert.
Shikonin ist eine chemische Verbindung, die in der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) verwendet wird. Es handelt sich um ein Naphthochinon, das aus den Wurzeln einer Pflanze (Lithospermum erythrorhizon) gewonnen wird und möglicherweise auch zur Verhinderung der Neurodegeneration eingesetzt werden kann.
In weiteren Untersuchungen müsste noch geklärt werden, inwieweit induzierte Neurone in der Zellkultur, die nicht mit umgebenden Gliazellen interagieren können, tatsächlich die metabolische Homöostase im Gehirn widerspiegeln. Es fehlen derzeit noch leistungsfähige Werkzeuge zur Reprogrammierung somatischer Zellen in induzierte Astrozyten und Oligodendrozyten, die Ko-Kultur-Experimente ermöglichen, um Alterungsvorgänge und Neurodegeneration in menschlichen Systemen untersuchen zu können.
Referenz:
Traxler L, Herdy JR, Stefanoni D, ..., Gage FH, D’Alessandro A, Mertens J (2022) Warburg-like metabolic transformation underlies neuronal degeneration in sporadic Alzheimer’s disease. Cell Metabolism 34:1248-1263.e1246
Bildnachweis: iStock/Dr_Microbe
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