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Es gibt praktisch keine Neubildung von Nervenzellen mehr im Gehirn von Erwachsenen


In einem entwicklungsgeschichtlich alten Hirnteil im Schläfenlappen unseres Endhirns, dem Hippocampus, gibt es auch nachgeburtlich noch eine Neubildung von Nervenzellen, die sog. Neurogenese. Seit vielen Jahren hat sich um dieses Thema eine mit viel Geld ausgestattete Forschungslandschaft aufgebaut, die diese Teilung von Neuronen im menschlichen Gehirn zu verstehen und zu nutzen versucht. Es geht insbesondere darum, den Verlust von Nervenzellen im Alter auszugleichen. Aber auch im Verlauf von neurodegenerativen Krankheiten, wie dem Morbus Parkinson oder dem Morbus Alzheimer, gehen massiv Neurone verloren, die ersetzt werden sollen.


Diverse therapeutische Ansätze drehen sich daher um eine mögliche Stimulation der Neurogenese. Aber gibt es diese wirklich noch im alternden Gehirn über 50 Jahre alter Menschen? Diese Frage blieb bisher unbeantwortet, primär aufgrund technischer Schwierigkeiten, die Neurogenese im Erwachsenenalter sicher nachzuweisen. Dafür wurde bisher ein Mikrotubulus-bindendes Protein, das Doublecortin (DCX), verwendet. Es ist in neuronalen Vorläuferzellen (Progenitoren) nachweisbar, die sich noch teilen und dann in Nervenzellen ausdifferenzieren (zu diesem Zeitpunkt enthalten sie dann kein DCX mehr).

Bisher war der Nachweis von DCX mittels markierter Antikörper in Proben von menschlichen und tierischen Gehirnen ein gängiges Verfahren, um Neurogenese darzustellen. Das geringe Vorkommen von DCX im menschlichen Gehirn wurde damit erklärt, dass die untersuchten Proben nicht ausreichend gut erhalten waren, um DCX sicher demonstrieren zu können.


In einer heute in einem der anerkanntesten neurowissenschaftlichen Magazine (Neuron) erschienen Studie konnten nun Franjic und Kollegen aus der Arbeitsgruppe von Professor Nenad Sestan an der Yale Universität in New Haven (USA) eindrucksvoll zeigen, dass DCX auch in relativ spät haltbar gemachten (fixierten) Gehirnen noch gut nachweisbar, aber nicht spezifisch für neuronale Progenitoren ist, sondern auch in ausdifferenzierten, kleinen Interneuronen vorkommt (diese hemmen die Aktivität von Projektionsneuronen). Dazu verwendeten die Autoren eine ganze Batterie von Untersuchungsmethoden, die auch die genaue Analyse der Genexpression (Transkriptom) einzelner Nervenzellen einschloss.


Neben menschlichen Proben wurde der Hippocampus von adulten Schweinen und Affen untersucht. In 139.187 untersuchten Nervenzellen im erwachsenen humanen Gyrus dentatus - derjenigen Hippocampus-Struktur, die Neurogenese bei Kindern zeigt - fanden die Autoren nur ein einziges Neuron, das alle Marker einer sich teilenden Zelle aufwies. In bisherigen Studien, die sich mit dieser Frage beschäftigten, wurden wesentlich höhere Neurogenese-Raten gemessen. Da die jetzt vorliegende Arbeit aber neben der Transkriptom-Analyse eine Vielzahl von überzeugenden technischen und biologischen Kontrollexperimenten beinhaltet, kann die Frage nach funktionell relevanter Teilung von Nervenzellen im Gehirn von Erwachsenen nun eindeutig beantwortet werden: Es gibt sie praktisch nicht. Offenbar war in der Evolution der Wirbeltiere der Rückgang der Neurogenese von Maus über Schwein zu Affen und Mensch ein Selektionsvorteil, d.h. für das menschliche Gehirn ist die Stabilität einmal eingelernter neuronaler Netzwerke von entscheidender Bedeutung. Sie darf nicht durch neu gebildete Neurone gestört werden.


Die Entwicklung neuer Nervenzellen aus einer sog. Radiär-Glia (gelb) über Progenitoren (ocker) hin zu den neuronalen Stammzellen (rot) ist bei der Maus und beim Schwein im erwachsenen Hippocampus (Gyrus dentatus) noch gut nachweisbar. Bei den Affen nimmt die Neurogenese ab und ist beim Menschen praktisch nicht mehr vorhanden (modifizerte Abb. 1 aus Nano PR, Bhaduri A , 2022, Mounting evidence suggests human adult neurogenesis is unlikely. Neuron 110:353-355)


Damit steht für die Entwicklung Stammzell-basierter therapeutischer Strategien gegen neurodegenerative Erkrankungen nur noch eine Tür offen: Die Transplantation exogener neuronaler Progenitoren, die sich im Hirngewebe des Empfängers zu Neuronen ausdifferenzieren lassen. Da es normalerweise nicht möglich ist, neuronale Stammzellen direkt aus dem Gehirn von Patienten zu entnehmen, werden solche Vorläuferzellen aus sog. induzierten, pluripotenten Stammzellen (hiPSZ) im Labor hergestellt.


Neuronale Stammzellen können aus fetalem Hirngewebe, kultivierten Embryonen oder durch Rückprogammierung aus erwachsenen, somatischen Körperzellen gewonnen werden. Sie teilen sich mitotisch, indem sie ihre Chromosomen verdoppeln, den Zellkern auflösen und zwei Tochterzellen bilden, von denen eine wieder in den Zellzyklus eintritt. Durch Behandlung mit spezifischen Wachstumsfaktoren bilden sich postmitotische Nervenzellen, die für Transplantationsexperimente verwendet werden können (Abb. 3.1 aus Klimaschewski L.P. , Parkinson und Alzheimer heute. Springer, 2021)


Wie im 3. Kapitel meines Buches über Neurodegeneration beschrieben, können mit dieser Technologie Stammzellen aus Hautbiopsien oder aus dem Blut von Patienten mit Mutationen in einem Parkinson- oder Alzheimer-Gen gewonnen werden, die sich unter speziellen Bedingungen in der Zellkultur umwandeln lassen. Sie werden umprogrammiert, d.h. re-programmiert bzw. induziert. Durch Einschleusen entsprechender Gene und Behandlung mit speziellen Wachstumsfaktoren differenzieren sie in funktionsfähige Nervenzellen aus. In Tierversuchen war dieses Vorgehen schon erfolgreich. Der neuronale Zelltod konnte verlangsamt und abgestorbene Nervenzellen durch solche, von außen hinzugefügte Zellen ersetzt werden. Tatsächlich differenzieren hiPSZ im Gehirn zu Neuronen aus und werden teilweise sogar in bestehende neuronale Netzwerke eingebaut. Leider waren die bisher durchgeführten klinischen Studien beim Menschen aber noch nicht erfolgreich.


Referenzen:


Franjic D, Skarica M, Ma S, ..., Sestan N (2022) Transcriptomic taxonomy and neurogenic trajectories of adult human, macaque, and pig hippocampal and entorhinal cells. Neuron 110:452-469.e414


Nano PR, Bhaduri A (2022) Mounting evidence suggests human adult neurogenesis is unlikely. Neuron 110:353-355


Bild oben: Amitotische Zellteilung in einer adulten primären Zellkultur sympathischer Nervenzellen mit hell leuchtenden Zellkernen (aus Nindl W, Kavakebi P, Claus P, Grothe C, Pfaller K, Klimaschewski L, 2004, Expression of basic fibroblast growth factor isoforms in postmitotic sympathetic neurons: synthesis, intracellular localization and involvement in karyokinesis. Neuroscience 124:561-572)

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