Einige Menschen behalten ihre höheren geistigen Funktionen im Alter bei, obwohl ausgeprägte Alzheimer-typische Veränderungen im Gehirn sichtbar werden. Mehrere Laboratorien sind diesem Phänomen derzeit auf der Spur und versuchen, die Biologie hinter dieser sog. Alzheimer-Resilienz zu verstehen, denn möglicherweise lassen sich diese Erkenntnisse therapeutisch nutzbar machen. In dem heutigen Blogbeitrag möchte ich insbesondere auf humangenetische und tierexperimentelle Studien eingehen, die uns bei der Suche nach solchen Resilienz-Faktoren weitergebracht haben.
Einer Demenz geht immer eine Neurodegeneration voraus, die im Fall des Morbus Alzheimer mit typischen Ablagerungen von extrazellulärem Beta-Amyloid, den sog. Aβ-Plaques, und einer intrazellulären Anhäufung von sog. neurofibrillären Tangles einhergeht (s. Kapitel 2.3 in meinem Buch über Neurodegeneration). Trotz des genetischen Zusammenhangs zwischen Amyloid und Alzheimer bleibt aber ein beträchtlicher Anteil von Personen mit Amyloidablagerungen im Gehirn kognitiv praktisch das ganze Leben lang gesund: Etwa ein Drittel aller älteren Menschen gilt als resilient gegenüber der Alzheimer-Pathologie.
Neuere Daten weisen nun darauf hin, dass die Anzahl an Nervenzellen im Cortex, diverse synaptische Marker und auch die axonale Morphologie bei diesen Menschen im Vergleich zu dementen Patienten auffallend gut erhalten sind. Darüber hinaus lässt sich bei resilienten Personen ein besonderes Zytokinprofil anchweisen, das durch höhere Spiegel von entzündungshemmenden Stoffen (Zytokinen) und geringeren Konzentrationen von sog. Chemokinen charakterisiert ist. Auch sind bei ihnen neurotrophe Faktoren vermehrt nachweisbar.
Besonders auffällig ist, dass resiliente Personen im Vergleich zu dementen deutlich geringere Mengen von hyper-phosphoryliertem Tau (pTau) im Neocortex aufweisen (bei ähnlicher Amyloid-Konzentration). Möglicherweise haben diese Personen daher eine größere kognitive Reserve, so dass eine höhere Zahl von Neuronen und synaptischen Kontakten den Funktionsverlust durch eine langsam fortschreitende Neuropathologie kompensieren kann. Diese Hypothese wird durch den sog. CERAD-Score (Consortium to Establish a Registry for Alzheimer's Disease) für neuritische Plaques sowie durch die Braak-Skala für neurofibrilläre Tangles in Kombination mit vor dem Tod erhobenen Daten standardisierter kognitiver Tests unterstützt. Daneben weisen Alzheimer-Biomarker im Liquor und die Bindung von Amyloid- und Tau-spezifischen Liganden in der Positronen-Emissions-Tomographie (PET), aber auch quantitative Analysen der Hirnstruktur (Volumen, Cortexdicke etc.) mittels Magnetresonanztomographie (MRT) in diese Richtung.
Solche Daten versorgen heutzutage komplizierte Algorithmen des maschinellen Lernens, die darauf trainiert werden, eine genaue Vorhersage zu treffen, ob eine bestimmte Person ein hohes oder niedriges Risiko für das Auftreten bzw. das Fortschreiten einer Alzheimer-Demenz aufweist. Insbesondere geht es dabei auch um genetische Faktoren, die die Resilienz gegenüber der Alzheimer-Pathologie fördern.
In einer aktuellen Fallstudie wurde über eine Trägerin einer Präsenilin (PSEN1)-Mutation (E280A) berichtet, die trotz hoher Amyloidwerte bis zu ihrem siebzigsten Lebensjahr keine kognitive Beeinträchtigung aufwies (bei Trägern der E280A-Mutation beginnt die Demenz ansonsten schon mit etwa 49 Jahren). Möglicherweise ist die Resilienz in diesem Fall auf das Vorhandensein einer homozygoten APOE-Variante zurückzuführen, die zu einer Verringerung des Low-Density-Lipoprotein (LDL)-Rezeptors führt. Obwohl APOE-ε4 ja als der bedeutendste genetische Risikofaktor für Alzheimer identifiziert wurde, entwickeln einige ε4-homozygote Personen keine Alzheimer-Demenz.
Andere Resilienzfaktoren werden bei den neurotrophen Faktoren vermutet, da beispielsweise der brain derived neurotrophic factor (BDNF) in seiner mutierten Form (ein sog. single nucleotid polymorphism an der 66. Aminosäure, Val66Met) zur frühen Neurodegeneration und einem mit der Amyloid-Pathologie assoziierten kognitiven Abbau führt. Außerdem spielt NRN1, ein weiterer neurotropher Faktor, der mit Resilienz zusammenhängt, offenbar eine Rolle, da er für die synaptische Übertragung und den Erhalt der axonalen Morphologie erforderlich ist.
Auf der Ebene der intra- und interzellulären Signalweiterleitung wurden Assoziationen mit dem Zucker- und Aminosäurestoffwechsel, der Prolaktin-Rezeptor-Signalübertragung und dem Dehydrogenase-Signalweg, aber auch mit Integrin-abhängiger Zelladhäsion gefunden. Ein interessantes Protein, das mit der Widerstandsfähigkeit gegen Altern und Demenz in Verbindung gebracht wird, ist darüber hinaus das Transmembranprotein Klotho.
Beim Menschen bilden zwei Varianten im Klotho-Gen, F352V und C370S, einen sog. funktionellen Haplotyp. Dabei finden sich eine, aber nicht zwei Kopien des sog. KL-VS-Haplotyps (bezeichnet als KL-VS-Heterozygotie) im Genom und ein erhöhter Klotho-Level im Blut. Klotho verlängert die Lebensdauer von Mäusen um 20-30 % und Klotho-Mutationen führen zu einer beschleunigten Alterung sowie zu einer verkürzten Lebensspanne der Tiere. Vermutlich lässt sich die Wirkung von Klotho über eine Bindung an Rezeptoren der Fibroblasten-Wachstumsfaktor (FGF)-Familie erklären.
Eine KL-VS-Heterozygotie kommt bei 20-25% der Bevölkerung vor und wird mit einer höheren kognitiven Leistung, einem größeren Hirnvolumen im frontotemporalen Bereich und einer geringeren Sterblichkeit in Verbindung gebracht. Neben der offensichtlich schützenden Rolle von Klotho im Rahmen der Alterung findet sich auch ein geringeres Risiko für die Alzheimer-Krankheit, denn in einer kürzlich durchgeführten Meta-Analyse wurde berichtet, dass die KL-VS-Heterozygotie bei älteren Menschen, die das Alzheimer-assoziierte ApoE-ε4-Allel tragen, seltener mit einer Demenz einhergeht. Neitzel und Kollegen fanden weiterhin heraus, dass die KL-VS-Variante mit reduzierten Tau-Spiegeln assoziiert ist, was darauf hindeutet, dass KL-VS-Heterozygotie potenziell gegen die Tau-Ablagerungen schützt, d.h. gegen neurofibrilläre Tangles.
Aber auch in Tiermodellen der Alzheimer-Krankheit finden sich resiliente Tiere, die ein höheres Maß an lernbezogener intrinsischer neuronaler Plastizität aufweisen. Im Rahmen von differentiellen Analysen der Genexpression dieser Mäuse lassen sich im Vergleich zu anfälligen Geschwistertieren mögliche Resilienz-Faktoren finden. Beispielsweise wird in diesem Zusammenhang das PLA2G4E-Gen diskutiert, das für eine Phospholipase A2 kodiert. Die Überexpression von PLA2G4E in Hippocampus-Neuronen von Alzheimer-Mäusen reicht nämlich schon aus, um kognitive Funktionen wiederherzustellen und die Anzahl von synaptischen Kontakten zu erhöhen, ohne dabei die Amyloid- oder Tau-Pathologie zu beeinflussen. Auch wurde festgestellt, dass PLA2G4E in den Gehirnen menschlicher Alzheimer-Patienten im Spätstadium vermindert ist, so dass es sich hierbei um ein relevantes therapeutisches Ziel handeln könnte.
Um die Identifizierung von Resilienzfaktoren zu erleichtern, müssen wir insbesondere verstehen, welche Gehirnregionen beteiligt sind und zu welchem Zeitpunkt des Krankheitsverlaufs die Resilienzmechanismen wirksam werden. Es ist bisher nämlich noch nicht klar, wo genau im Gehirn (oder im Körper) die Resilienz ihren Ursprung hat, wann sie im Krankheitsverlauf auftritt und wie sie sich mit dem Alter entwickelt. Um solche Fragen systematisch anzugehen, braucht es umfassende Humandaten und innovative Mausmodelle, die uns im besten Fall neue therapeutische Strategien zur Vorbeugung oder Behandlung der Alzheimer-Demenz aufzeigen können.
Referenzen:
Lin, L. et al. (2021) Resilience to plasma and cerebrospinal fluid amyloid-beta in cognitively normal individuals: findings from two cohort studies. Front. Aging Neurosci. 13:610755
Franzmeier, N. et al. (2021) The BDNFVal66Met SNP modulates the association between beta-amyloid and hippocampal disconnection in Alzheimer's disease. Mol. Psychiatry 26:614
Neitzel, J. et al. (2021) KL-VS heterozygosity is associated with lower amyloid-dependent tau accumulation and memory impairment in Alzheimer's disease. Nat. Commun. 12:3825
Neuner SM, et al. (2022) Translational approaches to understanding resilience to Alzheimer’s disease. Trends. Neurosci. 45:369
Bildnachweis: iStock/Sewcream
コメント