top of page
Search
  • klimasbrainblog

Lässt sich die Alzheimer-Krankheit durch eine Erneuerung von Markscheiden aufhalten ?



Die Alzheimer-Krankheit geht auch mit Veränderungen der weißen Hirnsubstanz einher. Diese enthält keine Nervenzellen, sondern im Wesentlichen myelinisierte Axone. Das Myelin ist eine lipidreiche Schicht, die neuronale Fortsätze isoliert. Es wird im Zentralnervensystem, also im Gehirn und Rückenmark, zeitlebens von einer speziellen Sorte Gliazellen gebildet, den Oligodendrozyten, die wiederum aus Vorläuferzellen (OPCs, oligodendrocyte precursor cells) hervorgehen. Wie letzte Woche hier im Blog besprochen, ist die Markscheidenbildung (Myelinisierung) auch im Alter noch relevant, denn ihre Stimulation fördert u.a. unser Gedächtnis.


Im Alter nimmt die Myelin-Produktion ab, und bei Alzheimer-Patienten finden sich eine Reihe von Auffälligkeiten in der weißen Substanz. Es ist allerdings noch unklar, ob die in histologischen und Bildgebungsstudien beobachteten Veränderungen direkt an der Pathogenese der Alzheimer-Krankheit beteiligt oder eine Folge der Neurodegeneration sind. In einer Studie von Chen und Kollegen aus Chongqing in China und aus San Fancisco (USA) wurde dieser Frage nun in einem APP/PS1-Mausmodell der Alzheimer-Demenz nachgegangen. In diesen transgenen Tieren finden sich hohe Spiegel des Amyloid-Vorläuferproteins (APP) und des Präsenilins (einer Untereinheit der APP spaltenden γ-Sekretase). Die Mäuse produzieren vermehrt Aβ-Peptide und Amyloid-Ablagerungen (s. auch Kapitel 2.3.2 in meinem Buch über Neurodegeneration).


Chen et al. untersuchten den Auf- und Abau von Myelin, dessen Proteinbestandteile durch spezielle, grün fluoreszierende Proteine (GFP) in OPCs und Oligodendrozyten sichtbar gemacht wurden. Interessanterweise war die Menge der neu gebildeten Myelinscheiden bei 8 Monate alten Alzheimer-Mäusen deutlich höher als bei Kontrollmäusen. Amyloid-Ablagerungen waren in den GFP-positiven Myelin-haltigen Arealen kaum nachweisbar. Die Gesamtmenge des Myelins war bei APP/PS1-Mäusen im Vergleich zu Kontrolltieren im Alter von 8 und 13 Monaten aber reduziert (zeitgleich mit dem kognitiven Verfall), nicht jedoch im Alter von 4 Monaten. Darüber hinaus zeigte eine elektronenmikroskopische Untersuchung eine deutliche Abnahme der myelinisierten Axone in APP/PS1-Mäusen im Vergleich zu Wildtyp-Mäusen (im Alter von 17 und 22 Monaten).


Schließlich zeigten die Forscher um Feng Mei, dass auch bei Alzheimer-Patienten die Menge des myelin basic proteins (MBP) in Gewebeschnitten von Cortex und Hippokampus im Vergleich zu altersgleichen Kontrollen reduziert war. Sie gingen auch der therapeutisch relevanten Frage nach, ob eine Förderung der Myelinproduktion die kognitiven Defizite bei älteren APP/PS1-Mäusen beheben könnte. Dazu wurde in einem induzierbaren und konditionalen Knockout des Gens Chrm1, das einen Hemmer der OPC-Differenzierung darstellt, bei 7-8 Monate alten APP/PS1-Mäusen eine vermehrte Bildung reifer Oligodendrozyten und eine verstärkte Bildung von Myelinscheiden nachgewiesen. Das Ausschalten von Chrm1 führte zu deutlichen Leistungsverbesserungen bei gedächtnisbezogenen Aufgaben und bei der Erkennung neuer Objekte.


In Anbetracht dieser Ergebnisse testeten die Autoren dann, ob eine pharmakologische Verbesserung der Myelinisierung den Markscheidenverlust und die kognitiven Defizite bei AD-Mäusen umkehrt. Sie behandelten 8 Monate alte APP/PS1-Mäuse mit Clemastin, einem Aktivator der OPC-Differenzierung, der für die Behandlung von Allergien zugelassen ist. Im Vergleich zu Kontrolltieren verstärkte die Behandlung mit Clemastin die Myelinbildung und verbesserte die Leistung in kognitiven Tests. Es wurde zudem bestätigt, dass die Ablagerung von Aβ bzw. die mikrogliale Beseitigung von Plaques durch die Behandlung mit Clemastin nicht beeinflusst wird, was darauf hindeutet, dass die kognitiven Verbesserungen eine direkte Folge der Förderung der Erneuerung des Myelins sind.


Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Untergang von Markscheiden ein wichtiges Merkmal der Alzheimer-Krankheit darstellt. Die endogene Myelinreparatur reicht nicht aus, um den Myelinverlust zu verhindern. Offenbar trägt dieser zum kognitiven Abbau beim Morbus Alzheimer bei, so dass die Förderung der Neubildung von Myelin eine sinnvolle Behandlungsstrategie darstellen könnte.


Referenzen:


Chen J-F, Liu K, Hu B, Li R-R, Xin W, Chen H, Wang F, Chen L, Li R-X, Ren S-Y, Xiao L, Chan JR, Mei F. (2021) Enhancing myelin renewal reverses cognitive dysfunction in a murine model of Alzheimer’s disease. Neuron 109:2292


Otto G. (2021) Repairing nerve damage. Nature Reviews Neuroscience 22:456


Bildnachweis: iStock/wildpixel

bottom of page