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Natürliches Gehen mit Hilfe eines Brain-Spine-Interface nach schwerer Rückenmarksverletzung


In meinem Blog-Beitrag vom 8. Oktober habe ich eine viel beachtete Arbeit von Grégoire Courtine's Arbeitsgruppe aus dem letzten Jahr vorgestellt, die zeigte, dass mittels elektrischer Stimulation einzelner dorsaler Wurzeln im Bereich des lumbosakralen Rückenmarks Schrittbewegungen bei Querschnittsgelähmten ausgelöst werden können. Durch räumlich und zeitlich vorprogrammierte Sequenzen wurden bei einem gelähmten Patienten die motorischen Nervenzellen im Rückenmark aktiviert, die für das Stehen und Gehen verantwortlich sind. Allerdings waren hierfür Bewegungs-Sensoren nötig, um seine motorischen Absichten aus Restbewegungen zur Einleitung der Stimulationssequenzen zu erkennen. Folglich wurde die Steuerung des Gehens nicht als natürlich empfunden. Darüber hinaus war es kaum möglich, die Beinbewegungen an wechselndes Terrain anzupassen.


In einer nun publizierten Arbeit wurde daher eine drahtlose digitale Brücke zwischen Gehirn und Rückenmark entwickelt, ein sog. BSI (brain-spine interface), das die natürliche Kontrolle über die Bewegungen der Beine wiederherstellte, um nach einer Querschnittslähmung auch auf unregelmäßigen Flächen wieder stehen und gehen zu können. Es wurden also zwei vollständig implantierte Systeme integriert, die die Aufzeichnung der kortikalen Gehirnaktivität und die Stimulation des lumbosakralen Rückenmarks drahtlos und in Echtzeit ermöglichten.


Abb. a, Zwei kortikale Implantate mit 64 Elektroden werden epidural über dem sensomotorischen Cortex implantiert, um elektrische Aktivitäten (EEG-Signale) zu erfassen. Eine Verarbeitungseinheit erkennt die beabsichtigte Bewegung und setzt diese Vorhersage in die Modulation von Stimulationsprogrammen um, die auf die dorsalen Wurzeleingangszonen des lumbosakralen Rückenmarks abzielen. Diese Stimulationen werden von einem implantierbaren Impulsgenerator abgegeben, der an eine sog. Paddle-Elektrode mit 16 Kontakten angeschlossen ist. b, Bilder der präoperativen Planung der kortikalen Implantatpositionen und der postoperativen Bestätigung ihrer Lage. L, links; R, rechts. c, Personalisiertes Computermodell zur Vorhersage der optimalen Lokalisierung der Paddle-Elektrode, um die dorsalen Wurzeleingangszonen, die mit den Beinmuskeln verbunden sind, zu erreichen (Fig. 1 aus Lorach H, Galvez A, Spagnolo V, …, Bloch J, Courtine G (2023) Walking naturally after spinal cord injury using a brain–spine interface. Nature 618:126).


Eine solche Schnittstelle zwischen Gehirn und Wirbelsäule besteht also aus vollständig implantierten Aufzeichnungs- und Stimulationssystemen, die eine direkte Verbindung zwischen kortikalen Signalen des Gehirns und einer epiduralen elektrischen Stimulation an den Hinterwurzeln des Rückenmarks herstellen. Ein BSI kann innerhalb weniger Minuten kalibriert werden und bleibt auch bei der selbständigen Verwendung zu Hause über mindestens ein Jahr stabil. Schon bei mehreren Probanden konnte mit dieser Methode das Gehen innerhalb eines Tages wiederhergestellt werden. Das Konzept einer digitalen Brücke zum noch intakten Rückenmark kann auch auf Arm- und Handbewegungen ausgeweitet werden, wobei das Ausmaß der neurologischen Erholung mit der Schwere der Läsion korreliert.


Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein BSI zusammen mit Neurorehabilitation zu erheblichen neurologischen Verbesserungen führt, die derzeit noch primär die Kontrolle über die Hüftmuskulatur betreffen. Dadurch kann ein Bein ohne Stimulation und Hilfe von außen gegen die Schwerkraft angehoben und das Gehen von Querschnittsgelähmten wieder ermöglicht werden.


Referenzen:


Lorach H, Galvez A, Spagnolo V, …, Bloch J, Courtine G (2023) Walking naturally after spinal cord injury using a brain–spine interface. Nature 618:126



Bildnachweis: iStock/Graphic_BKK1979

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