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  • klimasbrainblog

Neues zu Wachstumsfaktoren in der Therapie neurodegenerativer Erkrankungen


Wie in Kapitel 3.1.3 meines Buches beschrieben, versuchen viele Parkinson- und Alzheimer-Forscher seit vielen Jahren, den neuronalen Zelltod mittels neurotropher Moleküle zu verhindern bzw. zumindest zu verzögern. Die Neurotrophine binden an Rezeptor-Tyrosin-Kinasen (RTKs), die protektive Signalwege in Nervenzellen aktivieren (s. Abbildung unten). Sie sind damit in der Lage, das neuronale Überleben und das Wachstum von Axonen und Dendriten positiv zu beeinflussen. Zahlreiche der längerfristigen Wirkungen dieser Faktoren werden über die Regulation der Genexpression im Zellkern vermittelt, d.h. über eine veränderte Herstellung (Expression) von Gen-Transkripten (mRNAs).


Aktivierte RTKs und G-Protein-gekoppelte Rezeptoren stimulieren insbesondere die PI3-Kinase/AKT- und Ras/Raf/MAP-Kinase-abhängigen Signalwege. Sie sind für neuronales Überleben und axonales Wachstum essentiell. Mitglieder der Neurotrophin-Familie (NGF, BDNF, NT-3) und neurotroph wirksame Zytokine, wie z.B. der Ciliary Neurotrophic Factor (CNTF), haben in Tiermodellen neurodegenerativer Erkrankungen eindrucksvolle Effekte auf die betroffenen Nervenzellen gezeigt. Ebenso lassen sich für die Insulin-abhängigen Wachstumsfaktoren (IGF-1 und IGF-2), die transformierenden Wachstumsfaktoren (TGFs) und für verschiedene Mitglieder der Fibroblasten-Wachstumsfaktor-Familie (FGFs) neurotrophe Effekte nachweisen.


Intrazelluläre Signalwege in Nervenzellen, die von Transmitter- und Wachstumsfaktor-Rezeptoren ausgehen. Rezeptor-Tyrosin-Kinasen (grün) werden in der Regel durch Dimerisierung aktiviert, d.h. je ein Rezeptor-Molekül bindet einen Wachstumsfaktor (Liganden) und interagiert mit einem zweiten Liganden-Rezeptor-Komplex in der Plasmamembran. Daraufhin phosphorlylieren sich die in das Zytoplasma hineinragenden Kinase-Domänen gegenseitig und aktivieren verschiedene Signalwege: Die PLC/DAG/PKC-, die Grb2/Ras/Raf/MAP-Kinase (ERK)- und die PI3-Kinase/AKT-Signaltransduktions-Kaskaden. In der Zellmembran sitzende G-Protein-gekoppelten Rezeptoren stellen beispielsweise die Dopamin-Rezeptoren dar. Sie bestehen aus einem Membranprotein (blau), an das ein G-Protein andocken kann. Dieses bindet GTP und aktiviert daraufhin Adenylatcyklase, die den sekundären Botenstoff cAMP bildet und damit die Proteinkinase A (PKA) aktiviert. Daneben werden über die Phospholipase C verschiedene Kalzium-abhängige Signalwege angeschaltet (Abb. 3.3 aus Klimaschewski L.P. , Parkinson und Alzheimer heute. Springer, 2021)


Bei neurologischen Erkrankungen, die mit neuronaler Degeneration einhergehen, findet man kaum noch neurotrophe Faktoren in den betroffenen Hirnregionen. Daher werden derzeit pharmakologische Ansätze verfolgt, um RTKs über alternative Mechanismen zu aktivieren und Rezeptoren möglichst lange in der Nervenzelle zu halten, bevor sie im Lysosom abgebaut werden. Da die relevanten Signaltransduktionswege auch von den intrazellulären Bläschen, den Endosomen, aus aktiviert werden, wird versucht, den Transport aktivierter Rezeptoren von frühen Endosomen zu den späten Endosomen zu verzögern (siehe folgende Abbildung). Auf der anderen Seite kann die Weitergabe von intrazellulären RTKs an Recycling-Endosomen erhöht werden. Damit stehen vermehrt Wachstumsfaktor-Rezeptoren für pharmakologische Behandlungen mit den Faktoren zur Verfügung.


Frühe und späte intrazelluläre Endosomen lassen sich durch membranständige Marker (sog. Rab GTPasen) unterscheiden (Rab5 in der Membran früher, Rab7 in späten Endosomen). Wenn die Endosomen zurück zur Zelloberfläche gelangen und dort wieder mit der Plasmamembran verschmelzen, werden sie als Recycling-Endosomen bezeichnet. Frühe Endosomen sind solche, die sich gleich nach der Endozytose im Bereich der Plasmamembran bilden. Recycling-Endosomen enthalten Rab11 (Abb. 3.4 aus Klimaschewski L.P. , Parkinson und Alzheimer heute. Springer, 2021)


Die Möglichkeit, neurotrophisch wirksame Moleküle künstlich (gentechnisch) in großer Menge herstellen zu können, war eine Triebfeder für die in den 1980er Jahren aufstrebende biotechnologische Industrie, Wachstumsfaktoren bei Patienten mit der Parkinson- oder Alzheimer-Krankheit einzusetzen. Leider blieben praktisch alle diese Behandlungsversuche ohne reproduzierbaren Erfolg. Es war nämlich noch nicht bekannt, in welcher Dosierung und auf welche Art diese Faktoren genau appliziert werden müssen. Man wusste damals auch noch nicht, ob die Faktoren nach intravenöser Gabe, also in das Blut hinein, überhaupt durch die Blut-Hirn-Schranke in ausreichender Menge in das Hirngewebe gelangen würden. Leider war das in der Regel nicht der Fall. Heute wissen wir über diese biotechnologische Seite der Faktoren schon deutlich mehr.


Allerdings fehlen immer noch Untersuchungen zur Frage, welche Wirkungen durch einen bestimmten Faktor in den verschiedenen Hirnarealen nun genau auftreten. Vermutlich müssen Wachstumsfaktoren hoch dosiert und stereotaktisch (also mittels einer Sonde) direkt in spezielle Gehirnregionen hinein injiziert werden. Bei Gabe in das Blut oder auch in das Nervenwasser (Liquor) werden Proteine rasch verdünnt und normalerweise innerhalb von Stunden abgebaut. Selbst bei Injektion hoher Konzentrationen würden die Faktoren daher durch Eiweiß-spaltende Enzyme (Peptidasen) abgebaut, die im Serum und im Liquor zirkulieren. Auch wird bis heute diskutiert, ob Nervenzellen im Gehirn des älteren Menschen überhaupt ausreichende Mengen intakter Rezeptoren für die neurotrophen Faktoren an ihrer Oberfläche tragen. Die Wachstumsfaktoren haben daher ausserhalb von Studien noch keinen Eingang in die Therapie der Alzheimer- und Parkinson-Krankheit gefunden.


In Bezug auf den Morbus Parkinson wird derzeit insbesondere ein möglicher Einsatz des Glia-Derived-Neurotrophic-Factor (GDNF) geprüft. GDNF fördert das Überleben und die Reifung dopaminerger Neurone und wird mittels Gentherapie in das Gehirn eingebracht. Andere Therapieversuche mit neurotrophen Faktoren wurden in den letzten Jahren ebenfalls gestartet, z.B. mit Cerebral Dopamine Neurotrophic Factor (CDNF). CDNF ist experimentell gut wirksam, obwohl es nicht an Oberflächenrezeptoren bindet, sondern seine Wirkung offenbar im intrazellulär gelegenen endoplasmatischen Retikulum (ER) entfaltet und den ER-Stress in Nervenzellen positiv beeinflussen kann.


Referenzen:


Klimaschewski L, Claus P (2021) Fibroblast Growth Factor signalling in the diseased nervous system. Molecular Neurobiology 58:3884–3902


Delgado-Minjares KM, Martinez-Fong D, ... , Soto-Rojas LO (2021) Mechanistic insight from preclinical models of Parkinson's disease could help redirect clinical trial efforts in GDNF therapy. International Journal of Molecular Sciences 22:11702


Lauzon MA, Daviau A, Marcos B, Faucheux N (2015) Growth factor treatment to overcome Alzheimer's dysfunctional signalling. Cellular Signalling 27:1025-1038


Bildnachweis oben: iStock/whitehoune



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