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Reduktion der Hirnrinde nach Corona-Infektion beim Menschen nachgewiesen



Vor einigen Wochen hatte ich in zwei Blogbeiträgen über die neurologischen Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion berichtet. Dabei kommt es zu entzündlichen Veränderungen im Gehirn, die mit Abgeschlagenheit und verminderter Leistungsfähigkeit einhergehen und im Sinne eines Long-Covid-Syndroms über Monate anhalten können. Heute möchte ich eine Studie vorstellen, die anhand von Bildgebungsverfahren (Kernspintomographie, MRT) die Effekte einer Corona-Erkrankung auf die Hirnsubstanz selbst nachgewiesen hat.


In England wird schon seit 2006 an einer Biobank gearbeitet, die eine große Zahl von freiwillig teilnehmenden Probanden umfasst (über 40.000 Personen im Alter von über 45 Jahren). Das primäre Ziel dieser systematischen Datenerhebung über eine lange Zeit ist es, den Anteil von genetischer Veranlagung oder Umweltexposition bei verschiedensten Krankheiten zu bestimmen. Neben Befragungen und Laboruntersuchungen werden dabei auch die Gehirne gescant. Es konnten für die Studie also erstmals zerebrale MRT-Daten vor und nach einer COVID-19-Erkrankung bei denselben Personen erhoben und mit einer Kontrollgruppe nicht-infizierter Personen verglichen werden. Der Abstand zwischen den beiden Bildern lag im Mittel bei 3 Jahren. Insgesamt wurden 785 Probanden in die Studie eingeschlossen, von denen 401 in dieser Zeit eine SARS-CoV-2-Erkrankung durchgemacht hatten (384 Probanden bildeten die Kontrollgruppe).


Die Publikation in der renommierten Zeitschrift Nature (Douaud et al., Quelle s. unten) zeigte nun eindeutig, dass die graue Substanz, d.h. Rindenareale mit hoher Nervenzelldichte, durch die Covid-Infektion geringfügig vermindert wird (die Kontrollgruppe war nicht betroffen). Es handelt sich um 2-3% des Cortexvolumens (s. Abbildung) bei insgesamt reduzierter Gehirnmasse. Der Unterschied wird besonders bei älteren Patienten über 70 Jahre deutlich. Primär sind der untere Stirnlappen (die orbitofrontale Rinde über den Augenhöhlen) und der medial (innen gelegene) Schläfenlappen, der Gyrus parahippocampalis, betroffen. Die Infektion beeinträchtigt also bevorzugt das limbische System, d.h. die für Emotionen zuständigen Areale und unser Gedächtnis. Dazu passt auch, dass in begleitenden neuropsychologischen Untersuchungen dieser Patienten der Verlust kognitiver Fähigkeiten klar nachweisbar war (um ca. 10 Intelligenzquotient-Punkte bei hospitalisierten Patienten). Interessanterweise nehmen Hirnsubstanz und geistige Fähigkeiten aber auch bei denjenigen Probanden ab, die nur eine leichte Corona-Infektion durchgemacht hatten, also nicht in ein Krankenhaus eingewiesen wurden.


Vergleich der Hirnrinde von Probanden mit SARS-CoV-2-Infektion (Cases, gelbe Linie) oder ohne Covid-19-Erkrankung (Controls, blaue Linie). Links (a) ist die Abnahme im Bereich des Gyrus parahippocampalis, rechts (b) im Bereich des Gyrus orbitofrontalis in Abhängigkeit vom Alter dargestellt. Die Unterschiede werden mit zunehmendem Lebensalter immer deutlicher (modifizerte Abb. 1 aus Douaud G et al. SARS-CoV-2 is associated with changes in brain structure in UK Biobank. Nature, 2022, 604: 697-707).


Die vorliegende Studie ist einmalig in der Hinsicht, dass von einer großen Zahl an Patienten die Hirnscans nicht nur nach einer Covid-Erkrankung, sondern auch vor der Infektion angefertigt wurden. Damit konnten bestehende Vorschäden und frühere Veränderungen am Gehirn ausgeschlossen werden. Weiterhin wurden beide Gruppen nahezu vollständig gematcht, also Unterschiede in Geschlecht, Alter, ethnischer Herkunft, Blutdruck, Zuckerkrankheit, Gewicht, Alkohol- oder Nikotinkonsum sowie aufgrund des sozioökonomischen Status herausgerechnet.


Wie kommt es nun zu den beobachteten Veränderungen? Es ist ja schon länger bekannt, dass SARS-CoV-2-Viren über das entzündete Riechepithel in den Riechkolben (Bulbus olfactorius) und damit in den limbischen Teil des Gehirns gelangen. Der Wegfall des sensorisch-olfaktorischen Inputs (der Riechverlust) allein könnte zu einer Substanzreduktion geführt haben. Die Viren gelangen aber auch über Blutgefäße in andere Teile des Gehirns und aktivieren eine Vielzahl von Entzündungszellen, insbesondere die Mikrogliazellen. Ob es daraufhin tatsächlich zu einer Neurodegeneration kommt, müssen zukünftige Studien zeigen. Möglicherweise sind die morphologischen Veränderungen reversibel. Es könnte ja sein, dass die die betroffenen Cortex-Areale sich wieder erholen (was bei einer neuronalen Schädigung unwahrscheinlich ist, da Nervenzellen sich nicht mehr teilen können - s. mein Blog vom 03.02.22). In Covid-19-infizierten Rhesus-Affen wurde ein Untergang von Neuronen schon nachgewiesen, insbesondere bei Vorliegen einer Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus).


Unterstützt werden die Befunde der Biobank-Studie durch zwei weitere aktuelle Studien (Hampshire et al. und Qureshi et al.), die nach neurologischen Störungen bei einer großen Zahl von Covid-Patienten gesucht haben. Sie konnten zeigen, dass etwa 3% von über 10.000 Patienten mit einer schweren SARS-CoV-2-Pneumonie nach einem Monat eine neu auftretende Demenz entwickeln. Insgesamt ist das Demenzrisiko nach einer Covid-Pneumonie um 30% erhöht (im Vergleich zu Lungenentzündungen anderer Ursache). Im Mittel gingen bei Covid-19-Überlebenden die kognitiven Fähigkeiten 6-10 Monate nach der Infektion um einen Faktor zurück, der dem Abbau der Intelligenz zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr entspricht. Es ist daher von einer langfristig anhaltenden neurodegenerativen Komponente nach schwerer Krankheit auszugehen und die Covid-19-Impfung weiterhin dringend zu empfehlen.



Referenzen:


Douaud G, Lee S, Alfaro-Almagro F, Arthofer C, Wang C, McCarthy P, et al. SARS-CoV-2 is associated with changes in brain structure in UK Biobank. Nature, 2022, 604: 697-707


Hampshire A, Chatfield DA, Mphil AM, Jolly A, Trender W, Hellyer PJ, et al. Multivariate profile and acute-phase correlates of cognitive deficits in a COVID-19 hospitalised cohort. eClinicalMedicine, 2022, 47:101417


Qureshi AI, Baskett WI, Huang W, Naqvi SH, Shyu C-R. New-onset dementia among survivors of pneumonia associated with severe acute respiratory syndrome coronavirus infection. Open Forum Infect Dis, 2022, 9(4)


Bildnachweis: iStock/Jian Fan (unten) und iStock/dusanpetkovic (oben)

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