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T-Lymphozyten sind an der Neurodegeneration beteiligt


Lymphozyten wurden bisher nur selten als Akteure der Immunität des Gehirns angesehen, da sie die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden können. In den letzten Jahren wurde jedoch deutlich, dass das adaptive Immunsystem, bei dem B- und T-Zellen eine wichtige Rolle spielen, im menschlichen Gehirn aktiv ist und eine Schlüsselrolle beim neuronalen Zelltod im Alter spielen könnte. In der Zeitschrift Nature beschreiben Chen und Kollegen nun die spezielle Bedeutung der T-Zellen im Rahmen der Neurodegeneration beim Morbus Alzheimer. Ihre Befunde legen nahe, dass die adaptive Immunität im Gehirn völlig neu betrachtet werden muss und ein möglicherweise bedeutsames therapeutisches Ziel darstellt.


Die Alzheimer-Krankheit ist durch die Anhäufung von extrazellulärem Amyloid-β (Aβ)-Protein und intrazellulären Aggregaten des Tau-Proteins gekennzeichnet. Obwohl beide Eiweiße als Kennzeichen der Krankheit gelten, korreliert die Hirnatrophie praktisch nur mit der Tau-Akkumulation, nicht aber mit der Aβ-Ablagerung. In der Arbeit wird insbesondere der Frage nachgegangen, ob Tau-Aggregate eine spezifische Immunreaktion in umgebenden Zellen auslösen, die dann zum neuronalen Abbau.


Dafür verwendeten die Autoren Maus-Modelle der Alzheimer-Krankheit, die entweder Aβ-Ablagerungen oder eine Tau-Aggregation aufweisen, aber nicht beides zusammen. Die Wissenschaftler konzentrierten sich auf Lymphozyten, die sie aus dem Gehirn der Mäuse isolierten und mit Hilfe der sog. Einzelzell-RNA-Sequenzierung untersuchten (zur Identifizierung von Zelltypen aufgrund der in ihnen exprimierten Gene).


Besonders auffällig war, dass in den Gehirnen der Tau-Mäuse deutlich mehr T-Lymphozyten auftraten als in denjenigen mit Aβ-Ablagerungen. Dabei ließen sich insbesondere zytotoxische T-Zellen (CD8-positive 'Killerzellen') nachweisen, deren Zahl nicht nur mit den Tau-Ablagerungen, sondern auch mit der Neurodegeneration korrelierte. Allerdings zeigten die Zellen auch Anzeichen von Erschöpfung (ihre chronische Aktivierung scheint sie in einen dysfunktionalen Zustand zu überführen, so dass sie ihre normalen Fähigkeiten verlieren).


Chen und Kollegen bestätigten die in Mäusen erhobenen Befunde an Hirnschnitten von Patienten, die an der Alzheimer-Krankheit gestorben waren. Es zeigte sich, dass T-Zellen im Gyrus frontalis superior des Stirnlappens vermehrt auftraten, wohingegen bei der Tau-Maus besonders die Lymphozyten im Hippocampus und im entorhinalen Kortex des Schläfenlappens nachweisbar waren. Alle diese Strukturen sind eng mit dem Lernen und Gedächtnis verknüpft.


T-Zellen werden aktiviert, wenn ihr Rezeptor an ein Antigen bindet. Dabei handelt es sich in der Regel um ein Fragment eines Fremd-Proteins oder ein modifiziertes Fragment eines eigenen Proteins, das von einer anderen Zelle präsentiert wird. Die Untersuchung der im Gehirn normalerweise ansässigen Immunzellen ergab, dass in den Alzheimer-Mäusen die Mikroglia einen krankheits-assoziierten Zustand angenommen hatte und sich in Gehirnschnitten von Tauopathie-Mäusen in unmittelbarer Nähe von CD8-positiven T-Zellen befanden. In Zellkultur-Experimenten wiesen die Autoren dann nach, dass die Kultivierung von Mikroglia und T-Zellen zusammen mit einem fremden Antigen zu einer deutlichen Vermehrung der T-Zellen führte.


Chen et al. stellten daher die Hypothese auf, dass Mikroglia und T-Zellen gemeinsam die Hirnatrophie als Reaktion auf Tau fördern. Um diese Annahme zu testen, verabreichten sie Mäusen mit Tauopathie ein Medikament bzw, einen Antikörper, von dem bekannt ist, dass er zum Absterben von Mikroglia- bzw. T-Zellen führt. Wurde das Medikament zu einem Zeitpunkt verabreicht, zu dem sich die Neurodegeneration bereits entwickelte, führten beide Behandlungen zu einem deutlichen Rückgang der Hirnatrophie und zu einer Verringerung der Anzeichen für die schädlichen Auswirkungen von Tau. Darüber hinaus waren nach Depletion der T-Zellen die Leistungen der Tiere in verschiedenen Gedächtnis- und Lerntests praktisch normal.


In Hinblick auf mögliche Therapien ist es vermutlich nicht möglich, ganze Immunzellpopulationen beim Menschen zu entfernen. Eine Alternative stellt aber eine Modulation der unerwünschten Immunantwort dar. Dafür injizierten die Forscher Mäusen mit Tauopathie Anti-PD-1-Antikörper, die klinisch schon in der Krebsimmuntherapie eingesetzt wird. Diese Behandlung löst eine Kettenreaktion aus, die zur Aktivierung von T-Zellen führt. Eine kurzfristige Anti-PD-1-Behandlung erhöhte den Anteil regulatorischer T-Zellen, die aktivierte T-Zellen hemmen. Eine langfristige Anti-PD-1-Behandlung reduzierte dann auch die Neurodegeneration und die Menge an Tau-Ablagerungen. Allerdings müsste noch festgestellt werden, ob sich die Anti-PD-1-Behandlung auf die Kognition der Tiere auswirkt, bevor ein ähnlicher Ansatz beim Menschen getestet werden könnte.


Außerdem bleiben noch weitere Fragen offen: Sind die T-Zellen neu ins Gehirn eingewandert oder stammen sie von Zellen ab, die physiologische Aufgaben erfüllen ? Was ist der genaue Mechanismus der Antigenpräsentation im Gehirn ? Normalerweise finden Antigenpräsentation und T-Zell-Aktivierung in den Lymphknoten statt. Chen und Kollegen weisen in ihrer Arbeit insbesondere auf die Rolle der Mikroglia hin - einer Zellart, die bei der Antigenpräsentation weniger effektiv ist als andere Zelltypen. Alternativ könnten Makrophagen, die sich im Bereich der Hirnhäute befinden, bei der Präsentation von Antigenen helfen. Eine dritte Möglichkeit wäre, dass andere Zellen den regulatorischen und CD8+ T-Zellen Antigene präsentieren.


Welche Antigene erkennen nun aber die T-Zellen bei einer Tauopathie ? Es könnten beispielsweise virale Antigene sein, denn T-Zellen binden diese nachweislich in der Zerebrospinalflüssigkeit (Liquor) von Patienten mit Alzheimer. Auch weisen große epidemiologische Studien auf virale Antigene bei der Neurodegeneration hin. Daneben ist bekannt, dass T-Zellen ein krankheitsförderndes Protein (α-Synuclein) erkennen können und bei der Parkinson-Krankheit eine wichtige Funktion haben könnten. Die Immunologie der Neurodegeneration wird daher bei der Erforschung und Behandlung der Neurodegeneration in den nächsten Jahren von großer Bedeutung sein.


Referenzen:


Chen X, Firulyova M, Manis M, … , Ulrich JD, Holtzman DM (2023) Microglia-mediated T cell infiltration drives neurodegeneration in tauopathy. Nature 615:668


Guldner ICH, Wyss-Coray T (2023) Activated immune cells drive neurodegeneration in an Alzheimer's model. Nature 615:588


Bildnachweis: iStock/Love Employee

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