Es ist ein lang gehegter Wunsch vieler Menschen, das Altern durch den Gang in einen Jungbrunnen rückgängig zu machen. In Bezug auf das Gehirn gibt es tatsächlich experimentelle Ansätze, kognitive Funktionen im Alter durch systemische Eingriffe zu erhalten, beispielsweise durch die Übertragung von Blutplasma von jungen auf alte Organismen. Wir wissen allerdings noch nicht, welche Faktoren für diesen Effekt verantwortlich sein könnten.
Wie in meinem Buch über Neurodegeneration erläutert, sind in diesem Zusammenhang bisher vor allem die von Entzündungszellen freigesetzten Metalloproteasen untersucht worden. Dabei handelt es sich um Zink- und Kalzium-abhängige Endopeptidasen, die extrazelluläre Matrixmoleküle spalten (Laminin, Kollagen, Fibronektin u.a.). Ein natürlicher Hemmer dieser Proteasen, TIMP-2 (tissue inhibitor of metalloproteinases 2), wurde für den Verjüngungseffekt nach einer Blutplasma-Transfusion verantwortlich gemacht. In den Experimenten der Arbeitsgruppe um Tony Wyss-Coray aus dem Jahr 2017 verbesserte sich die Merkfähigkeit von alten Mäusen, wenn sie das Blutplasma von jungen Menschen gespritzt bekamen. Die Autoren gingen damals davon aus, dass die aus aktivierten Mikrogliazellen freigesetzten Metalloproteasen an Alterungsprozessen beteiligt sind, indem sie synaptische Kontakte lockern, die dauerhaft durch extrazelluläre Matrixproteine stabilisiert werden.
In einer neuen Studie konnte nun dieselbe Gruppe zeigen, dass Infusionen von jungem Liquor, dem Nervenwasser, in die Gehirne alter Mäuse die Bildung einer bestimmten Sorte von Gliazellen (Oligodendrozyten) fördern und bestimmte Gedächtnisfunktionen verbessert. Da Oligodendrozyten im ZNS Myelin bilden (s. Abbildung unten), wird vermutet, dass eine verbesserte Markscheidenbildung im Alter kognitive Funktionen wiederherstellen kann. Dabei scheint ein Fibroblasten-Wachstumsfaktor (FGF17) eine Schlüsselrolle zu spielen.
Rechts im Bild ist eine Myelinscheide (blau) zu sehen, die von Oligodendrozyten gebildet wird und als elektrischer Isolator dient (sie ummantelt das rot gezeichnete Axon). Links im Bild findet sich ein 'geöffnetes' Neuron mit mehreren Fortsätzen und einer schematischen Darstellung der wichtigsten intrazellulären Organellen.
Die Autoren der Arbeit stellten fest, dass sich die Gabe von Liquor aus jungen Mäusen über eine Woche hinweg oder eine direkte Applikation von FGF17 positiv auf das Erinnerungsvermögen alter Mäuse auswirkt. Das zeigte sich insbesondere in der sog. konditionellen Angstreaktion. Dafür wurde ein Erstarren der Tiere nach schwachen elektrischen Schlägen beobachtet, die mit Ton- oder Lichtreizen kombiniert wurden. Dieses konditionierte freezing ließ sich in älteren Tieren, die mit jungem Mäuse-Liquor behandelt wurden, eher auslösen als in unbehandelten älteren Kontrolltieren; die behandelten Mäuse hatten also ein besseres Erinnerungsvermögen an furchteinflößende Erfahrungen.
In der Folge wurde durch RNA-Sequenzierung eine Hochregulierung von Transkriptionsfaktoren festgestellt, die an der Differenzierung von Oligodendrozyten und an der Herstellung von bestimmten Myelineiweißen beteiligt sind. Iram et al. konnten nachweisen, dass junger Liquor den Anteil proliferierender Oligodendrozyten-Vorläuferzellen (OPCs) im Hippocampus alter Mäuse erhöht. Diese Zellen zeigen interessanterweise eine starke Induktion des Serum Response Factors (SRF).
Auf der Suche nach Molekülen, die SRF im Liquor induzieren, identifizierten die Autoren nun FGF17 als denjenigen Faktor, der in alten Mäusen die Proliferation von OPCs steigern und die Gedächtnisleistung in den Verhaltenstests verbessern kann, was darauf hindeutet, dass eine Behandlung mit FGF17 den Effekt einer Infusion von jungem Liquor bei alten Mäusen simulieren kann. FGF17, dessen Spiegel in der Maus und in menschlichem Liquor mit dem Alter abnimmt, ist also notwendig und hinreichend, um die Kognition in gealterten Tieren zu verbessern. Umgekehrt führt eine Blockierung von FGF17 durch Infusion eines hemmenden Antikörpers zu einer Beeinträchtigung der Gedächtnisfunktion von Mäusen.
Es ist schon länger bekannt, dass FGF17 für die embryonale Gehirnentwicklung von großer Bedeutung ist, aber über seine Rolle im erwachsenen Nervensystem wussten wir bisher wenig. Junge Mäuse, denen FGF17 fehlt, haben kleinere Gehirne und zeigen Anomalien im Sozialverhalten. Die neuen Resultate unterstreichen, dass die genaue Untersuchung des Liquors unser Verständnis über Alterungsvorgänge erheblich erweitern und neue therapeutische Strategien zur Behandlung der Neurodegeneration aufzeigen kann.
Referenzen:
Iram T, Kern F, Kaur A, Myneni S, ... , Keller A, Zuchero JB, Wyss-Coray T. (2022) Young CSF restores oligodendrogenesis and memory in aged mice via Fgf17. Nature 605:509
Yates D. (2022) Restoring the aged brain with CSF. Nature Reviews Neuroscience 23:393
Bildnachweis: iStock/fizkes und iStock/Christoph Burgstedt
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