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Welche Rolle spielen Darmbakterien bei der Alzheimer-Pathogenese ?



Wir gehen heute davon aus, dass Amyloid-β, Tau und Apolipoprotein E (APOE) an der Pathogenese der Alzheimer-Krankheit (auf eine noch nicht ganz verstandene Art) beteiligt sind. In jüngster Zeit häufen sich die Berichte, dass Darmbakterien an den durch diese Proteine induzierten Veränderungen im Gehirn beteiligt sind. Dong-Oh Seo und Kollegen aus dem Labor von David Holtzman an der Washington University School of Medicine in St. Louis (MO, USA) haben nun in einer Anfang des Jahres in Science veröffentlichten Arbeit zeigen können, dass die Tau-vermittelte Neurodegeneration in Alzheimer-Mäusen durch das Mikrobiom negativ beeinflusst wird. Sie wiesen in Tieren, die entweder konventionell oder unter keimfreien Bedingungen aufgezogen wurden, überzeugend nach, dass Darmbakterien eine ursächliche Rolle bei der Tau-vermittelten Neurodegeneration spielen, indem sie inflammatorische Prozesse in der Peripherie und im Gehirn verstärken.


Die von den Bakterien hergestellten kurzkettigen Fettsäuren stimulieren offenbar entzündliche Vorgänge, die in einer APOE-Isoform-abhängigen und geschlechtsspezifischen Weise die durch Tau angestoßenen Mechanismen fördern. Offenbar aktivieren mikrobielle Stoffwechselprodukte periphere Immunzellen, die wiederum Zytokine freisetzen, die dann die Blut-Hirn-Schranke überwinden und eine Neurodegeneration auslösen können. Wenn Alzheimer-Mäuse unter keimfreien Bedingungen aufgezogen werden, treten der neuronale Zelltod und die Gliose, also eine Proliferation von Astrozyten, nämlich nicht auf.


Schon in früheren Arbeiten wurde eine bakterielle Beteiligung an der Entstehung der Alzheimer-Krankheit angenommen, da die Behandlung mit Antibiotika zu einer Verringerung der Aβ-Pathologie in einem Amyloid-Mausmodell der Alzheimer-Krankheit führte. Die APOE4-Variante ist der stärkste bekannte genetische Risikofaktor, während die APOE3-Variante das Alzheimer-Risiko nicht zu beeinflussen scheint. Interessanterweise führten die verschiedenen APOE-Allele in der vorliegenden Arbeit zu einer unterschiedlichen Konfiguration der Darmbakterien.


Seo et al. verwendeten Mausstämme, die ein mutiertes MAPT-Transgen, das für Tau kodiert, und unterschiedliche APOE3- oder APOE4-Varianten tragen und unter sterilen oder herkömmlichen Bedingungen lebten. Bemerkenswerterweise waren sterile Bedingungen bei männlichen und weiblichen Mäusen, die APOE3 und APOE4 exprimierten, stark neuroprotektiv, d.h. sie schützten vor der Krankheit. Der Abbau von Hirnsubstanz war signifikant reduziert gegenüber Tieren, die erst bakterienfrei gehalten wurden, dann aber eine fäkale Mikrobiota-Transplantation von geschlechtsgleichen, konventionell aufgezogenen APOE4-Mäusen erhielten.


Könnte eine Behandlung mit Antibiotika ähnliche neuroprotektive Wirkungen wie eine keimfreie Aufzucht erzielen? Seo et al. behandelten konventionell gehaltene Mäuse, die mutiertes Tau und APOE3, APOE4 oder kein APOE exprimierten, mit einem Antibiotika-Cocktail und beobachteten auffällige APOE-Isoform- und geschlechtsabhängige Effekte: Das Fehlen von APOE führte nur zu minimaler Neurodegeneration. Männliche, aber nicht weibliche Mäuse aller APOE-Genotypen, die mit Antibiotika behandelt wurden, wiesen reduzierte tau-Werte sowie eine signifikante Abschwächung der Hirnatrophie und signifikante Verbesserungen ihres (Nestbau-)Verhaltens auf. Diese Ergebnisse passen zu früheren Daten, wonach eine langfristige Antibiotikabehandlung zu einer Verringerung der Aβ-Pathologie bei männlichen, aber nicht bei weiblichen Mäusen in einem Amyloid-Tiermodell führte. Offenbar spielen neben den entzündlichen Mechanismen auch Geschlechtshormone eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Krankheit (siehe auch mein Blog-Beitrag vom 30.03.23).


Wie genau beeinflusst nun die Darmmikrobiota die Tau-vermittelte Neurodegeneration? Seo et al. stellen die Hypothese auf, dass bakteriellen Substanzen die astrozytäre und mikrogliale Reaktion im Rahmen der Neurodegeneration verändern. Sie fanden bei männlichen und bakterienfrei gehaltenen Tieren nämlich eine verringerte Expression von Gliose-Markern. Differenzielle Genexpressionsanalysen aus dem Hippocampus männlicher Mäuse wiesen auf eine Herabregulierung von Genen der angeborenen Immunantwort und Gliaaktivierung hin, wenn keine normale Mikrobiota vorhanden war. In ähnlicher Weise führte die Behandlung mit Antibiotika zu Veränderungen in der Genexpression von Mikroglia und Astrozyten, was unterstreicht, dass die Darmmikrobiota die glialen Reaktionen moduliert.


Eine offene Frage ist noch, warum die Vorteile einer Antibiotikabehandlung, die bei APOE3-Mäusen beobachtet werden, bei Mäusen mit APOE4 nicht nachweisbar sind, während eine lebenslange Reduktion der Darmmikrobiota sowohl bei APOE3- als auch bei APOE4-Mäusen einen signifikanten Schutz bietet. Der zugrundeliegende Mechanismus könnte aufgeklärt werden, wenn die Bakterienstämme und die kurzkettigen Fettsäuren, die für diese Unterschiede verantwortlich sind, identifiziert werden.


Referenzen:


Jain T, Li YM (2023) Gut microbes modulate neurodegeneration. Science 379:142


Seo DO, O’Donnell D, Jain N, Ulrich JD, … , Gordon JI, Holtzman DM (2023) ApoE isoform- and microbiota-dependent progression of neurodegeneration in a mouse model of tauopathy. Science 379:eadd1236


Bildnachweis: Dr_Microbe

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